Kirgisien mit KTM 690

Eine andere Kultur. Einzig die Seidenstraße hat diese Kulturen miteinander verbunden. Die Berge hier sind doppelt so hoch wie der Großglockner, doch die Bezeichnung Alpen XXL trifft diese gigantische Landschaft noch nicht genau. Man muss sie selbst gesehen und erlebt haben. Individualreise?                                                                                                               

 Ja, es gibt sie, man trifft sie, diejenigen, die sich den Traum erfüllen, der leicht zum Albtraum werden kann: Die Anreise mit dem eigenen Bike über die ehemaligen Sowjetrepubliken, um  dann in China zu wenden und über Pakistan, Afghanistan und Indien wieder in den Westen zu gelangen. ( Wien – Bishkek:  13 000 km).  Obwohl noch immer eines der größten Abenteuer, existiert mittlerweile eine Menge an Reiseberichten von den Helden, die es geschafft haben. Nun im reiferen Alter würde ich von diesem Jugendtraum abraten und gebe zu bedenken, dass Taliban und andere „Gotteskrieger“ unsere Motorräder brauchen könnten und dass es auf dieser Tour keinen „Pannendienst“ gibt.

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Natürlich sollte man sich für Kirgistan einen Flugrettungs- Heimtransport sichern. Hier ist für den Fall des Falles damit zu rechnen, dass er sich auch organisieren lässt. Politisch erscheint das Land zur Zeit stabil, aber von Fahrten in den streng islamischen Süden um Osch und ins usbekische Grenzgebiet wird abgeraten.                                                                                                                                  

 Wir haben uns für den einfacheren Weg entschieden und sind mit dem Flugzeug angereist. Nachdem wir in früheren Jahren an den Grenzen Georgiens gescheitert waren, haben wir im Vorjahr über Slavas Agentur neue KTM 690 in Tiflis gemietet und damit effizient das Land erforscht. Als Slava im Jahr 2015 die East- West-Travel Company in Bishkek mit den neuen österreichischen Geländekreuzern bestückte, ließen wir uns auf das Abenteuer Kirgisien ein. Nichts ahnend von den Herausforderungen der Gegend war uns Slavas Angebot mitzufahren und den Tour Guide zu machen erst peinlich.    

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Nun, einige Erfahrungen später kann ich nur die Variante mit ortskundigem Führer empfehlen, denn die knapp 2000 Kilometer lange Tour führt zum größten Teil off road direkt über die traumhafte Hochgebirgslandschaft.   Selbst Slava hat die Straßenverhältnisse und Schwierigkeitsgrade unterschätzt. Er stürzte bei der ersten Tour und brach sich die Schulter. Ein Ersatz wurde gefunden: Alex, 25, athletisch, keine Sprachkenntnisse in Deutsch und Englisch, schneller Fahrer, der kaum zurückschaut. Rückspiegel, Blinker und Nummernschild fehlen auf den KTM. ..


Nun sind auch wir in Kirgisien, werden vom Flughafen abgeholt und zur Akklimatisierung auf ein Berghüttenresort ins Alamedin Tal gebracht, wo die schneebedeckten 7000er grüßen. Die gewaltigen Dimensionen der Ausläufer des Hindu Kush und des Daches der Welt flößen uns Bewohnern der Alpenrepublik Ehrfurcht ein.   Die Tour wird erklärt und die Route besprochen. Noch scheinen uns die 300 Kilometer Tagesetappen wie Sonntagsspaziergänge und von dem 70% off road Anteil machen wir uns noch keine Vorstellungen.

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Am Morgen kommt das Erwachen: Alex verlässt die Schotterstraße. Eine Schafherde gibt uns den Weg frei in ihr Weidegebiet. Steile Auffahrten und Bergab Passagen auf Grasmatten wechseln mit schnellem Einfädeln in ausgewaschene Spurrillen. Nach der ersten Rast haben wir zehn Kilometer geschafft und bekommen eine erste realistische Vorstellung von der Tagesetappe. Zwar wird mir die KTM und ihre Fähigkeiten immer vertrauter, doch eine gewisse Erschöpfung stellt sich ein und die Konzentration lässt nach. Bei der Aufholjagd nach einem Fotostopp unterschätze ich eine Flußdurchquerung, der Stoppelreifen findet keinen Gripp im Schlamm und die 160 Kilo aus Österreich legen sich so an den Fels, dass ich sie allein nicht aufstellen kann.

Chris, der off road Profi gibt mir eine Lektion und etwas angeschlagen nehme ich mir vor, nicht mehr zu stürzen. Das bedeutet, dass hundert Prozent der Aufmerksamkeit auf die Landschaft vor dem Vorderrad gerichtet sind. Diese wechselt in der Ebene vom groben Schotter auf Sandpisten, wo die Staubfahne des Vordermannes die Sicht raubt. Als wir am späten Nachmittag auf Asphalt stoßen, wissen wir diesen Straßenbelag demütig zu schätzen und lassen uns beglückt in die Kurven fallen, die uns auf den 3300 Meter hohen Töö – Pass bringen. Dieser mündet in einen Tunnel , der einen 5000er durchstößt.

Da es keine Entlüftung gibt, müssen wir Masken anlegen und bedauern den unschuldigen deutschen Baumeister, der von Stalin wegen Bauverzögerung hingerichtet wurde. Drei Tage darauf gelang der Durchbruch. Dieses Beispiel möge besonders die Verursacher des Baustellenchaos in unseren Städten besinnlich stimmen!

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Starke Männer und einfache Lösungen sind in Kirgistan sehr beliebt. Aus dem gleichnamigen Dorf hier im Tal stammt der allseits verehrte 2, 36 Meter große  Volksheld Koshomkul, der sein Pferd durch den Fluss tragen konnte. Eine böse Vorausahnung quält uns in der Nacht, da am Tosor Pass eine schwierige Flussdurchquerung auf uns wartet und wir die KTM nicht schultern können. Die größten Schwierigkeiten einer Bachdurchfahrt sind die steilen und schlüpfrigen Ab- und Auffahrten sowie große Steine, die das Vorderrad blockieren. Dann muss man runter steigen und zumindest ein Stiefel füllt sich mit Wasser…       

Der Albtraum wird schlimmer, doch dann entgegne ich wie die starken Nationalhelden Koshomkul und Manas: „Das Fahren in diesem Gelände ist unser Wunsch, der Traum eines Endurofahrers.Es sind die ewigen Jagdgründe“ …    

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Am nächsten Morgen geht es wieder ab von der Schotterstraße auf einen Bergrücken, wo wir uns ein Bild machen können, in welch großartiger Naturlandschaft wir uns befinden. Die weiß glänzenden Ausläufer des Tien Schan zeigen uns die Richtung an. Irgendwie müssen wir da durch oder drüber. Die Belohnung für diese Tagesetappe ist eine Nacht in der Jurte am Son – Kol See, der sich 30 Kilometer lang auf  3000 Meter Seehöhe erstreckt. Erst geht es über die abgelegene und kaum besiedelte Suusamyr Hochebene.  An einem alten Friedhof studieren wir die Lehmziegelarchitektur und den usbekischen Baustil.

Friedhöfe befinden sich meist am Ortsende und geben Aufschluss über die Volksgruppen der Dorfbevölkerung. Die Piste auf dem Plateau ist nicht schwierig und erlaubt Seitenblicke auf bunte Felsformationen, deren vielschichtige Farbtöne und Formen die Phantasie spielen lassen. Wir zittern über abenteuerliche Holzbrücken und gewinnen an Höhe. Die letzten Sonnenstrahlen lassen selbst ein Kohlebergwerk in bunten Farben erstrahlen, doch dann verhüllt Nebel und Nieselregen den Pass. Einige rutschige Passagen lassen den Blick in die nahe gähnende Schlucht gleiten. Jede Radlänge erfordert eine genau geplante Führung. Das Geröll wird immer größer und loser, gefolgt von tiefen Furchen und glitschigen Grund. Die gegenüber liegende Seite des Berges stimmt fröhlicher.

Die Landschaft öffnet sich. Einige Sonnenstrahlen erhellen riesige Grasteppiche, auf denen sich Herden wilder Pferde tummeln. Noch ein paar Kuppen und wir können den ersten Blick auf den tief blau glänzenden Son- Kol See werfen.

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Am Ufer stehen Jurten und bunt bemalte Waggone. Hirten und Bauern bieten Käse und Kumis, fermentierte Stutenmilch an.  Dieses „Kirgisenbier“ versuchen wir in der Restaurantjurte, wechseln dann aber zu traditionellem Gerstensaft und Wodka. Zuerst wird eine Suppe mit allerlei Gemüse, dann Fleisch vom Fisch und Pferd serviert. Während des Festgelages schlägt das Wetter um. Heftige Sturmböen kündigen das Gewitter an, das es in sich hat.

Wir sind dem Wettergott sehr nahe und können den Donner direkt spüren. Am Morgen ist der Spuk vorbei und als wir für das Abschiedsfoto die höchste Bergkuppe stürmen, brechen die ersten Sonnenstrahlen durch die Wolken. So geht es dann frohen Mutes noch einige Stunden durch die phantastische Gebirgswelt, bevor wir das weite Tal erreichen, in dem die Seidenstraße nach China führt. In einer Stunde könnten wir am Torugart-Pass sein, dem Grenzübergang. Aufgrund der stressigen Bürokratie und der chinesischen Überwachung jedes Schrittes besteht für einen Besuch kein Interesse.                                          

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Mein Hauptinteresse an dieser Gegend ist ein geheimnisvoller Steinbau und ich konnte Alex dazu überreden, von der schnurgeraden Seidenstraße in das südlich gelegene  Tasch Rabat Tal einzubiegen. Versteckt von den Gebirgswänden erscheint wie aus dem Nichts die vermeintliche Karawanserei. Dass eine mittelalterliche Autobahnstation 20 Kilometer abseits der Seidenstraße ihren Zweck erfüllen konnte ist eher unwahrscheinlich. Der kreuzförmige Grundriss, dessen Längsachse genau nach Osten zeigt, spricht eher für eine Templerburg wie sie im 13. Jh. im Westen gebaut wurde.          

Die Wahrheit wird noch lange verborgen bleiben, auf jeden Fall kann dieser in Zentralasien einzigartige Bau Tasch Rabat als kulturelles Highlight betrachtet werden.                                                                                                                          

Der fahrerische Höhepunkt folgt am nächsten Tag. Von Naryn aus folgen wir erst dem längsten gleichnamigen Fluss des Landes bis zum Zusammenfluss mit einem kleineren Bach, in dessen Tal wir einbiegen. So folgen wir vielen Flüssen, bis wir die Gletscher sehen, die sie speisen. Die Klimaerwärmung ist auf der gesamten Nordhalbkugel ein großes Problem. Dass die ungewöhnlich großen Wassermassen auch das Bachbett der Furten verändern, wird nun auch unser Problem. Unerschrocken peilt Chris als Erster das ferne Ufer an, da reißt die Strömung die KTM mit sich. Mit vereinten Kräften gelingt die Bergung.  Viel ist nicht mehr trocken an uns, doch die „Wasserkühlung“ erleichtert den schweißtreibenden Aufstieg auf über 4000 Meter, von denen jeder erarbeitet werden muss.

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Die Steine spritzen weg und das Hinterrad sucht tanzend irgendwo Halt zu finden. Wir befolgen Alex´s Befehl: „Immer Gas!“ und ackern uns so bis zur Spitze des Tosor – Passes. Die Belohnungszigarette will nicht gleich brennen und ist in dieser Höhe schwer zu rauchen. Erste Scherze folgen der Erschöpfung. Doch wir haben zu früh gelacht. Es donnert. Ein gewaltiges Gewitter ist kurz vor uns niedergegangen.

Graupelschauerhaufen liegen herum und der Weg ist zum Fluss geworden. Hatten wir das Schwierigste schon hinter uns geglaubt, steht nun eine Rodelpartie bevor. Es folgen gefährliche Geröllpassagen, glitschige Abschnitte und aalglatte Grasnarben zwischen knietiefen Furchen. Keiner kann die Ausblicke auf den weit unten glänzenden Issyk- Kul- See beachten und würdigen. Dann kommen die Belohnungen: Asphalt, Uferpromenade, Bier…                                                                                 

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Die letzte Route führt durch ursprüngliche Dörfer entlang dem Südufer des riesigen „heißen Sees“ und stößt  bei Balykchy auf die mit chinesischen Geldern finanzierte neue Autobahn.  Bevor uns Alex in Bishkek die letzte Geländeetappe serviert, schwenken wir zur Ruinenstadt Balasagun, die vom Stumpf des  Burana Minaretts aus dem 11. Jh. geprägt wird. Dahinter befindet sich eine Ansammlung von grabsteingroßen Steinfiguren mit freundlichen Gesichtszügen, die zumeist ein Trinkgefäß in der Hand halten. Sie sind schon anderthalb Jahrtausende alt und über ihre Bedeutung wird gerätselt. Für uns sind sie ein Zeichen unverfälschter Ursprünglichkeit von Land und Leuten.    

Wir freuen uns, diese kennen gelernt zu haben.
 
Wer in Bishkek landet kann sich hier eine KTM 690 leihen:


West- East Travel Ltd
info@west-east-travel.com
Adventure travel:  www.west-east-travel.com

 

Reisebericht:
Norbert Matkowits