Mit der Beschränkung auf das Wesentliche gewinnen wir die Initiative für eine individuell zufriedenstellende Gestaltung der Tagesplanung zurück 
              
 Zeitdruck, Stress, Magengeschwüre Die Flut von Forderungen, Verpflichtungen und Aktivitäten scheint jeden Tag anzusteigen, weiße Flecken im Terminkalender schmelzen schneller dahin als unsere bedauernswerten Gletscher. Neue Technologien suggerieren Effizienz im Zeitmanagement, in Wahrheit erschließen sie neue Betätigungsfelder, die den Terminplan bis zum Siedepunkt erhitzen.
 Global Warming nicht nur in der Außenwelt, auch das individuelle Erleben steht kurz vor dem Hitzekollaps. Was natürlich auch vermehrte Co2- und Methanbelastung der Umwelt zur Folge hat, führen doch Stress zustände sehr oft zu Verdauungsproblemen.
 In meinem Seminar Global Warming der Innenwelt ? Strategien der Entschleunigung betone ich immer wieder die Notwendigkeit der Rückkehr zum Baum des Ursprunges. Der Baum des Ursprunges, die Quelle natürlicher Lebensfreude. Es geht darum, persönliches Zeitmanagement durch Reduktion komplexer Mechanismen auf die Essenz der Lebensfreude zu optimieren.
              
 Im gegebenen Fall steht der Baum des Ursprunges im Wienerwald. Neben einem Forstweg, der nach etwa 25m in die Exelberg Bundesstraße mündet Von hier aus genießt man Einblick auf ein kurzes Stück der Bundesstraße und kann bei Lust und Laune den vorbeiziehenden Verkehr beobachten. Dass es sich bei diesem Baum um den Baum des Ursprunges handelte, wurde mir erst bewusst, als ich neben dem Baum mehrere aufgerissene Plastiksäckchen der Firma Harribo entdeckte. Einige davon noch halbvoll mit Gummibärchen Am Forstweg fanden sich zudem Spuren von durchdrehenden Motorradreifen. Spuren von Straßenreifen, wie ein erfahrener Fährteesucher mit Leichtigkeit feststellen kann. Es gab keinen Zweifel: dies war die Stelle, an der Carlo Furioso, damals Vize-Bergmeister der Dopplerhütte, auf Beute lauerte.
 Es waren die beschwingten Achtziger, das gutbürgerliche Österreich zankte wegen dem Atomkraftwerk  Zwentendorf und dem Donaukraftwerk Hainburg. In der von Umweltaktivisten besetzten Hainburger Au wurzelt ein anderer Baum des Ursprunges ? der Baum ökologischer Vernunft und  einer umweltverträglichen, nicht ausschließlich an Wachstum orientierten Marktwirtschaft. Die Grünbewegung formierte sich, drängte in die Politik. Idealistisch motivierte Vordenker wie Kaspanaze Simma oder die resche Freda Meissner-Blau wiesen erstmals auf die Notwendigkeit einer nachhaltigen Energie- und Konsumbilanz hin.  Neues, visionäres Gedankengut, das auch am wackeligen Stammtisch der Dopplerhütte leidenschaftlich diskutiert wurde. Schließlich waren sowohl die Energie- als auch die Konsumbilanz im Kampf gegen den Asphalt von geradezu unerträglicher Ineffizienz geprägt Mit einem Michelin Hi Sport Hinterreifen ? damals die unbedingt notwendige Ausstattung ? kam man bei beherzter Fahrweise keine 2000km weit, noch schlimmer lagen die Dinge bei Fahrleistungen und Verbrauch der damals angebotenen Eisenhaufen. Carlo's mühsam am Lederriemen geschärfte Yamaha RD 500 LC überwältigte Stammtisch wie Besitzer mit grandioser Mehrleistung und rekordverdächtigem Treibstoffverbrauch. Wobei sich die Mehrleistung leider nur am Stammtisch manifestierte, der Verbrauch zwischen 15 und 20l aber an der Tankstelle in harten Schillingen bezahlt werden musste. Was aber immer noch angenehmer war als die regelmäßigen Fußmärsche bei leer gefahrenem Tank.     
 Es herrschten unstete Verhältnisse in den Winkelwerken der Achtziger Eine Zeit, in der Wegelagerer auf 600er-Enduros plündernd und brandschatzend durchs Land zogen. Eine Zeit, in der man seinen Worten Taten folgen lassen musste, um Schwätzer und legitime Herausforderer entsprechend zu sortieren. Und so bezog Carlo Stellung in verborgener Position, um das vorbeifahrenden Einspurvolk zu begutachten und bei Bedarf Ordnung und Rangliste wieder herzustellen. Eine Stellung, die ich anhand der herumliegenden Harribo Gummibären-Sackerl zweifelsfrei identifizieren konnte. Immer wenn ihm der Blutdruck das tiefe Rot in die Augen malte, verschlang Carlo Gummibärchen wie ein Wal das Plankton. Auf der Rennstrecke hatte er immer einen ganzen Karton dabei und wenn ihm die Bärchen ausgingen, fielen seine Rundenzeiten ins Bodenlose. Am Anfang gelang es uns immer wieder, seiner Gummibärchen habhaft zu werden und CF wie einen löchrigen Socken herzubrennen. Dann versteckte er die Sackerln rund um die Strecken und ich kann der Nachwelt berichten, dass viele seiner explosiven Expeditionen ins Gemüse nicht das Resultat hoffnungsfroher Fahrweise waren, als sie vielmehr der unauffälligen Beschaffung versteckter Gummibärchen dienten. 
 Die nicht ganz geleerten Packungen neben dem Baum zeichneten ein Bild forensischer Aussagekraft. Niemals hätte Carlo ein oder gar mehrere Gummibärchen freiwillig weggeworfen. Etwas sehr Substantielles muss hier passiert sein. Wir können davon ausgehen, dass FC je nach Eiligkeit des vorbeifahrenden Verkehrs ein angefangenes Sachkerl entweder in aller Ruhe geleert hat, bevor er sich an die Verfolgung machte. Oder aber im plötzlichen Angesicht hunnischer Umtriebe auf der Straße das Sachkerl kurzerhand über die Schulter entsorgte, um mit impulsiver Drehzahl die Verfolgung aufzunehmen. Erhebliche Drehzahl lässt sich aus der Tiefe der Beschleunigungsspuren im harten Boden schließen, aber auch das Muster der Sackerlverteilung am Waldboden ist von großer Mitteilungskraft. Nach genauer Vermessung ließ sich sagen, dass die leeren Sackerln in recht engem Radius ganz nahe am Baum liegen, während die noch gefüllten Sackerln in sehr Unregelmäßigkeiten Abständen bis zu 15m  hinter dem Baum zu finden waren.
 Daraus ließen sich gleich mehrere Schlüsse ziehen: zum einen bezog Carlo immer die gleiche Lauerposition neben dem Baum. Zum anderen hatte die Wurfweite der noch gefüllten Sackerln etwas mit den Vorgängen auf der Straße zu tun. Ich vermutete, dass sich die Fahrgeschwindigkeit der auf der Straße auftauchenden Motorräder proportional zur Wurfweite der Sachkerl verhielt. Wenn ein Henker am Knie auftauchte, flog das gefüllte Sachkerl etwa 5 Meter. Ein schlampiger Wurf über die Schulter sozusagen. Wenn aber der Berzerk persönlich den Asphalt aufkochen ließ, flog das angefangene Sachkerl bis zu 15 Meter weit. Folge einer sehr hektischen Wurfbewegung.
 Ich habe den Waldboden auch im Bereich von 20m hinter dem Baum abgesucht, konnte aber dort keine Sachkerl finden. Dafür hatte ich anfangs keine Erklärung Im Zuge weiterer Recherchen am Tatort entdeckte ich aber eine kleine, bergab führende Rinne etwa an der 20m-Marke. Diese Rinne nähert sich weiter hinten dem Forstweg an und endet in einem kleinen Graben neben dem Weg. Genau dort, unter einer Schicht von Laub und Astwerk, wurde ich schließlich fündig: mehrere aufgerissene Sackerln mit Inhalt und sogar ein ungeöffnetes Sachkerl. 
 Damit schloss sich die Kette der Indizien. Irgendjemand oder irgendetwas veranlasste Carlo, die Gummibären-Sackerl 20m weit über die Schulter zu werfen. Ein rekordverdächtiger, olympiareifer Wurf. Ein Wurf in allerhöchster Aufregung. Möglicherweise ein Wurf in Todesangst.
 Nach einem kurzen Besuch des Zuckergeschäftes Honigbär in Neuwaldegg führte ich den Sackerlwurf über die Schulter im Eigenversuch durch. Natürlich im Sattel einer Supersport mit  Lederjacke und Protektoren.  Mein Höchstwert mit aufgerissenem Sackerl und halbem Inhalt lag bei 14m. Danach besorgte ich ein Sackerl mit Englhofer Firn Bonbons und wog den Inhalt sorgfältig auf das Gewicht eines halbgefuellten Harribo Gummibären-Sackerls Bei nächster Gelegenheit ersuchte ich Carlo so unauffällig wie möglich, das Englhofer-Sackerl so weit wie möglich über die Schulter zu werfen. Er lehnte rundweg mit der Begründung ab, dass seine Schulter bei dieser Bewegung zu sehr schmerzen würde Mein dringender Verdacht bestätigte sich: Carlo hatte sich bei seinen 20m-Wuerfen die Schulter bedient. Natürlich tat Carlo so, als wollte er unbedingt wissen, wie ich denn auf diese komische Idee mit dem Sackerl-Weitwurf gekommen wäre Er wusste ganz genau, dass seine Lauerstellung aufgeflogen war. Ich wusste ebenso genau, wer für seine Schulterschmerzen nach den 20m-Wuerfen verantwortlich zeichnete.

 Die Analyse der Lauerstellung am Baum des Ursprunges führt nun  hinsichtlich Zeitmanagement und Lebensfreude zu einem zwiespältigen  Ergebnis. Fest steht, dass der Hinterhalt für den Genuss Freude  spendender Überholmanöver unabdingbar ist. Es ist statistisch fast  unmöglich, einem anderen, eiligen Fahrer in derselben Fahrtrichtung  zufällig über das Hinterrad zu laufen. Selbst bei 10km/h schnellerer  Durchschnittsgeschwindigkeit müsste man sich auf einer 20 Kilometer  langen Strecke zufällig nicht mehr als eine Minute hinter dem  langsameren Fahrer befinden, um einen Überholvorgang konsumieren zu  können Und mehr als 20km spielt es zumeist nicht, weil Ortsgebiete,  Kreuzungen und allfällige Cafepausen die Karten neu durchmischen.
Mehr als 10km/h Unterschied in der gefahrenen Durchschnittsgeschwindigkeit nehmen der Sache wiederum die essentielle Substanz. Aber ja doch, Wappler torkeln allerorten durch die Gegend. Der Quell der Lebensfreude wird aber nur vom soliden Überholvorgang am oder jenseits des Grenzbereiches gespeist. Und nur gegen einen Fahrer, der sich selbst für sehr schnell hält. Bestehen da auch nur geringe Selbstzweifel, erlischt der Widerstand schneller als die Wunderkerze am Christbaum.
 Klarerweise haben wir in ausgedehnten Taktikbesprechungen Mittel  und Methoden diskutiert, einen Hetzwappler möglichst langsam  abzufackeln. Wenn man so auf längeren Strecken unterwegs ist und  verzweifelt nach Ablenkung von Kreuz- und Knieschmerzen sucht, ist auch  der Dreiviertel-Champion ein hochwillkommenes Geschenk. Ein Geschenk,  das man mit Umsicht und sensiblen Händen auspacken muss, um den Inhalt  nicht unbrauchbar zu machen. So ist das Auffahren mit wesentlich höherer  Geschwindigkeit und drohend geschwungenem Kriegsbeil unbedingt zu  vermeiden. Ganz im Gegenteil muss man sich so verhalten wie möglich  heranarbeiten und mit seitlich versetzter Linie sicherstellen, dass man  im Rückspiegel bemerkt wird.
Hat man die an wiederholten, leichten  Kopfbewegungen zum Spiegelstudium erkennbare Aufmerksamkeit, lässt  man  sich in Kurven wieder etwas zurückzufallen Auf der Geraden nähert man  sich wieder und  deutet schließlich vor der nächsten Kurve mit einer  Position an der Mittellinie den Versuch eines zaghaften Überholmanövers  an. Natürlich scheitert dieser Versuch und nach der Kurve ist der  Abstand wieder etwas größer Je nach Fahrprofil des Geschenkes wird man  jetzt feststellen, dass  sein Vorwärtsdrang in den Bereichen zunimmt, in  denen er sich sicher fühlt Viele Fahrer zögern im Kurveneingang, legen  aber dann umso mutiger um. Mit einem Licht im Spiegel wird dieser Fahrer  in der Regel im für ihn unsicheren Kurveneingang eher noch vorsichtiger  während die Schräglage danach immer mutiger wird.  So lassen sich die  erstaunlichsten Fahrprofile beobachten.
 Chauffeure, die Links- und  Rechtsradien kontinuierlich in deutlich unterschiedlichen  Schräglagenwinkel fahren. Gottergebene, die blinde Kurven stets in  derselben Schräglage durchmessen wie offene Ecken. Kurzsichtige, die in  Kombinationen magisch von der Gegenspur angezogen werden und Gasmeister,  die sich mit dem Blindenstock durch die Ecken tasten, um dann im  Angesicht der rettenden Geraden den Drehgriff zu umarmen. Ein  erwähnenswertes Fahrprofil in diesem Zusammenhang ist der Abriegler. Er  lässt in Kurven nichts anbrennen, bleibt aber aber auf Geraden und in  schnellen Passagen eisern unter einer bestimmten Höchstgeschwindigkeit   Womit wir beim Kern der Überholfreude angelangt wären An einem  Abriegler, der sich nicht zu mehr als -beispielsweise - 160km/h  motivieren lässt mit 2 Kilo vorbeizufahren ist schlichtweg idiotisch.  Und vollkommen unbefriedigend. Lebensfreude verspricht die Konsumation  des Überholvorganges nur dann, wenn sie in der Komfortzone des  Geschenkes erfolgt. Den Abriegler muss man also in den Ecken stellen,  genau wie man Umleger auf der besseren Linie und Spätbremser im  Kurveneingang verabschiedet.
 Nachdem das langsame Abfackeln aufbaufähiger Wappler nur als  Notlösung auf Leerkilometern dienen kann, bleibt der Hinterhalt, das  verborgene Warten auf ernstzunehmende Reisende, die entscheidende  Voraussetzung zur regelmäßigen Konsumation substantieller  Überholmanöver. So sehr aber der Baum des Ursprunges im Wienerwald zum  symbolischen Leitbild der Lebensfreude geworden ist, so kritisch müssen  wir ihn aus heutiger Sicht beurteilen. Details wie Einbiegen in den  Forstweg, umständliches Umdrehen des Motorrades und angespannte  Aufmerksamkeit bei kurzer Reaktionszeit, können nicht zur Substanz der  Lebensfreude beitragen. Und da sind wir noch gar nicht bei den  technischen Aspekten.
Mit kalten, staubigen Reifen in die Geschehnisse  einzugreifen, ist immer eine schlechte Idee. Und sorgt in den ersten  Kurven für zusätzliche Stressbelastung.       
 Dazu kommt, dass sich  Wartezeiten auf lohnende Kandidaten endlos ausdehnen können Und nach  langem Herum-sitzen wird es extrem schwierig, im Brandfall sofort ins  Feuer zu springen. 
 Keine Frage, der Hinterhalt mit stehendem Motorrad kann nicht der richtige Weg zur Essenz der Lebensfreude sein.  
  Wie aber lassen sich gehaltvolle ? und vor allem regelmäßige ?  Überholvorgänge in einem entspannten, weitgehend stressfreien Umfeld  darstellen?  Draußen im Land, an den Stammtischen zwischen Krautsdorf  und Rüben, ist Umdrehen und Nachfahren sehr populär. Deswegen ist es  auch das Land. Und am besten macht man das mit einer am Helm  aufgeklebten Irokesen-Bürste, damit nur ja niemand erkennt, dass der  lokale Dorf-eilige, der jetzt im Rückspiegel drohende Gebärden einnimmt,  vor 10 Sekunden in Gegenrichtung vorbeigefahren ist. Selbstverständlich  gibt es auch bei höchsten Drehzahlen eine gewisse Etikette, bei deren  Nichtbeachtung man sehr schnell als Tölpel gebrandmarkt wird. 
 Ganz  schlimm ist es, wenn man in der verborgenen Lauerstellung oder beim  hastigen Umdrehen von anderen Motorradfahrern gesehen wird. Beim  Umdrehen ist das eine recht durchwachsene Sache. Wird man  im  Rückspiegel auf frischer Tat ertappt, kann man sicher sein, dass sich  niemand mehr motivieren lässt. Außer vielleicht dazu, den Vogel zu  zeigen. Also darf man erst umdrehen, wenn man sicher ist, nicht gesehen  zu werden. Das ist auch so eine durchwachsene Sache. Auf einer langen  Geraden muss es ein ebenso langer Abstand sein, um nicht beim Umdrehen  ertappt zu werden. In Kurven dauert es nur Sekunden, bis man vor dem  Sichtfeld des Spiegels des in entgegengesetzter Richtung Vorbeifahrenden  sicher ist. Dafür ergibt sich jetzt das Problem mit dem  Nachfolgeverkehr, den der emsige Umdreher nicht einsehen kann.
 Bei Motorradpartien unter Zeitdruck ist dieser Nachfolgeverkehr  sehr oft bemüht, nach vorne aufzuschließen und bewegt sich mit  ebensolcher Ungeduld wie der Fahrer, der den Anlass zum Umdrehen gab.  Recht unerfreuliche Begegnungen sind die Folge. Auch der Zeitfaktor darf  beim Umdrehen nicht unterschätzt werden.  Findet man nicht sofort eine  geeignete Stelle oder wird vom Verkehr in der Ausübung eines heroischen  U-Hakerls behindert, ist der Schnellzug abgefahren. Hier sind wir wieder  bei der gefahrenen Durchschnittsgeschwindigkeit. Wenn ein Henker dank  eines verzögerten U-Hakerls ein paar hundert Meter Vorsprung bekommt,  sieht man ihn erst in der nächsten Ortschaft wieder. Oder im  Unfallspital Tulln, wo man aber wenigstens Wert auf die richtige  Rangordnung legt: ich fand mich in Zimmer 9,
Carlo bekam Zimmer 15. Sehr  zu meinem Leidwesen konnte ich damals aufgrund einer erheblichen  Gehbehinderung die Belegschaft in den Zimmern 1 bis 8 nicht inspizieren.  Ich bin nach wie vor fest davon überzeugt, dass Zimmer 1 für Freddie  Spencer und Valentino Rossi reserviert war. Meinen wiederholten Anträgen  an die strenge Stationsschwester, mich doch in Zimmer 2 zu verlegen,  wurde aus vorerst ungeklärten Gründen nicht entsprochen. Bis dann die  Türe aufging, der Gustl Auinger hereinschaute und sagte: Wennst noch  einen Antrag stellst, wirst ins Zimmer 14 verlegt!   
 Den Baum des  Ursprunges, den Quell der Lebensfreude, wird man in dieser Umgebung  vergeblich suchen. Die Defizite bei Lebensfreude und Zeitmanagement sind  einfach zu groß.  
 

 Nachdem ich also Umdrehen und Nachfahren zur Vertiefung der  Lebensfreude für absolut nicht zielführend halte, gibt es doch Momente,  wo man mit dieser Methode reiche Ernte einfahren kann. Auf den endlosen  Asphalt-Hochschaubahnen in Spanien und den USA - und teilweise in  Italien - kann sich das U-Hakerl durchaus bezahlt machen. So wie bei dem  in Gegenrichtung vorbei sprudelnden BMW-Club, der mit großer,  organisatorischer und fahrerischer Disziplin beeindruckte. Gleiche  Abstände, gleiche Körperhaltung, gleiche Schräglage und alle auf der  gleichen Linie. Eine gute, flüssige Linie mit Betonung auf optimalen  Blickwinkel in den Gegenverkehr, wie ich im Vorbeifahren feststellen  konnte. Präzision wie beim Exerzierdienst.
Als alter Gardist musste ich mich dieser Parade nach einem eiligen U-Hakerl anschließen. Und weil die Distanz bis zur nächsten Ortschaft so lang war, konnte ich mich leutselig herantreiben lassen und einige Zeit zu beobachten. Für Kurveneingang, Schräglagenwinkel und Linienwahl vergab ich begeistert Höchstnoten Auch beim Heraus-beschleunigen aus den Ecken bewahrte die BMW-Abteilung vorbildliche Contenance: in Schräglage wurde beherzt zugegriffen, sobald der Bock gerade war, begnügte man sich mit lockerem Vortrieb.
Maximaler Fahrspaß bei grösstmöglicher Sicherheit. Gleichzeitig sanken meine Hoffnungen auf gehaltvolle Überholmanöver auf den Nullpunkt. Zuviel Disziplin und Vernunft. Ich wollte schon umdrehen und meinen Heimweg fortsetzen, als der Schlussmann der Partie vermehrt von der Linie der Vorausfahrenden abwich und ganz offensichtlich einen möglichen Überholvorgang meinerseits blockieren wollte.
Wahrscheinlich aus Mitgefühl für den einsamen, freudlosen R1-Chauffeur hinter ihm. In einer langen Kurve rollte ich also sehr zaghaft und unauffällig außen an ihm vorbei und plötzlich wurde da geschaltet, hochgedreht und wild angedrückt. Der Schlussmann der Vernünftigen mutierte zum weiß-blauen Rächer der Überholten Etwas überrascht erhöhte ich das Tempo und stellte mich einige Ecken später seitlich versetzt hinter dem Führungsmann an. Der Blick in den Rückspiegel bestätigte dieses ungute Gefühl beobachtet zu werden, wie man es von langen, dunklen Gängen mit offenen Türen kennt. Eine Gewitterwolke sehr entschlossen wirkender BMW-Treiber waberte an meinem Hinterrad. Was war denn da dem Abstand passiert, meine Herren?
 Vor uns eine Gerade auf eine Kuppe mit einer schnellen,  blinden Links, gefolgt von einer kurzen bergab-Geraden in eine stark  eindrehende Links. Vor der Kuppe schob ich mich bei runden 140km/h an  der Mittellinie ganz langsam am Anfuehrer vorbei. Dieser erhöhte die  Geschwindigkeit etwas und hielt sich leicht nach hinten versetzt neben  mir. Bei guter Streckenkenntnis verträgt die Kuppe gute 160km/h. 145km/h  im Eingang, ohne intime Streckenkenntnis ein echtes Glaubensbekenntnis.  Entweder er kannte die Strecke oder er kannte seinen Schöpfer Auf der folgenden bergab-Geraden reduzierte ich die Geschwindigkeit in  Erwartung der eindrehenden Links. 130km/h sind hier die Obergrenze. Auf  der Ideallinie, von ganz außen angetragen. Von der Fahrbahnmitte  entsprechend weniger. Und da ist ein großer Unterschied zwischen einer  Kurve, die man im dynamischen Fahrfluss anbremst und einer Kurve, auf  die man mit gleichbleibender Geschwindigkeit zurollt. 120 am Tacho, der  BMW-Mann hartnäckig auf meiner Höhe Kein Beschleunigen, kein Bremsen,  einfach nebeneinander auf die Ecke zu.
Wahrscheinlich war er ein großer Verehrer von James Dean. Die große Mutprobe - wer bremst zuerst- Niemand bremste. Mit knirschenden Zähnen klappte ich die R1 auf die Kante und nahm das Adrenalin gleich in die Folgekurven mit. Dann der Blick in den Spiegel: leerer Asphalt und blauer Himmel. Die Gewitterwolke hatte sich verzogen. Wo war der BMW-Club? - Hatte er den Baum des Ursprunges neben der Fahrbahn gefunden?
 Als nach einigen Minuten langsamer Fahrt  noch immer keine Scheinwerfer zu sehen waren, verzog ich mich in einen  Schotterweg mit Überblick. Wenn man da so steht und wartet und dabei  noch an  Lemminge denkt und wie sie hintereinander über die Klippe  gehen, bekommt man schon ein schlechtes Gewissen.  Es stellt sich auch  die Frage, ob man sich eventuell an den Aufräumarbeiten beteiligen  sollte.
 Aus evolutionstheoretischer Sicht kann man die heutige Notlage der  einspurigen Jäger durchaus mit dem Aussterben der Dinosaurier nach einem  Meteoriteneinschlag vor 60 Millionen Jahren vergleichen. Die Meisten  überlebten den Einschlag nicht und wer übrigblieb, musste feststellen,  dass auch die Beutetiere weitgehend den Löffel abgegeben hatten. Von den  kleinen Happen - den Wapplern der Urzeit, aus denen schließlich die  Primaten hervorgehen sollten - wurde ein gestandener Raubsaurier nicht  satt. Heute stellt sich die Situation der jagenden Spezies noch viel  bedrohlicher dar. Zusätzlich zum möglichen Einschlag in der Horizontalen  kann die Jagd ganz gewaltig in der Geldkatze einschlagen.
Die Gefahr eines staatlichen Meteoriteneinschlages im Führerschein nimmt mit jedem Tag zu. In diesem Bewusstsein des nahenden Endes gewinnt effektives Zeitmanagement noch mehr an Bedeutung. Um die verbliebenen Reste lohnender Beutetiere auszumachen, ist eine Position mit Fernsicht unverzichtbar geworden.
Erfahrene Jäger beziehen also Stellung auf Aussichtspunkten, von wo sich die Straße kilometerweit überblicken lässt Sobald unten im Tal verdächtige Umtriebe bemerkbar werden, hat man genug Zeit, der Beute entgegen zufahren, rechtzeitig umzudrehen und sich überholen zu lassen. Die Vorteile liegen auf der Hand: man kann die Reifen auf Temperatur bringen und inspiziert die Strecke nur wenige Minuten vor der Jagd. Ein statistisch wertvoller Sicherheitsvorsprung gegen unerwartet auftretende Gefahrenmomente. Wer längere Zeit in einem Hinterhalt wartet, setzt sich im Vergleich einem entsprechend höheren Veränderungsrisiko auf der Strecke aus. In der Bergposition erreichen Lebensfreude und Zeitmanagement Hoechst-werte. Man kann sich auf einen Stein setzen und den Blick ins weite Land genießen oder einfach im Vorbeifahren kurz schauen, ob sich irgendwo auf der Strecke lohnende Ziele tummeln.
Und es gibt keinen Zeitdruck. Zudem plätschert der Quell  der Lebensfreude niemals lauter als beim zufälligen Überholt-werden  Wer überholt, wird alles tun,  nicht zurück überholt zu werden. Mit  Sicherheit die beste Methode, das Opfer wirklich an die Grenzen seiner  Leistungsfähigkeit zu treiben.   
           
 Bei allen Sicherheits- und Komfortvorteilen gibt es einen  entscheidenden Nachteil für die Bergposition: man benötigt einen Berg.  Und die stehen leider nicht an jeder Ecke herum. Was also kann der  Flachlandsaurier tun, um nicht zu verhungern?
 Immer wieder wird das Wort Rennstrecke strapaziert, wenn von  eiligem Motorradfahren die Rede ist. Warum man denn auf der Straße  wildert, wenn doch auf der Rennstrecke alles viel sicherer und  geordneter abläuft Wohl war, wohl war. Leider aber haben sich die Zeiten  auch hier grundlegend geändert  Die Rennstrecken-Szene hat sich soweit  spezialisiert, dass für Straßenreifen und Serienfahrwerke gerade noch  der nasse Fetzen übrigbleibt, mit dem man vom Parkplatz gewatscht wird.  Der Baum des Ursprunges, der Quell höchster Lebensfreude, verwandelt  sich mit einer Seriengurke auf der Rennstrecke in einen Watschenbaum. So  wie bei meinem unschuldigen Versuch, die Möglichkeiten der neuen KTM  Adventure am Pannoniaring auszuloten.
Bei Rundenzeiten zwischen 2.06 und  2.08 fährt scheinbar jede ernste 600er im Umkreis von 300km vorbei.  Eine epochale Heimsuchung, über die mich auch die zahlreich vorhandenen  Wappler nicht hinwegtrösten konnten. 
 Da kann der Bock noch so gut  sein. Ohne technische Nachhilfe und Runden bis zum schwindlig werden ist  auf der Rennstrecke kein Staat zu machen.
    
               
 Zeit ist kostbar, die Berge fern und die  Rennstrecke ein Watschenbaum, Trotzdem gibt es Hoffnung für den  Flachlandjäger Eine höchst effektive, zeitsparende Methode, die in  langen Versuchsreihen verfeinert und perfektioniert wurde. Eingedenk der  zahlreichen Einschläge im Zuge ihrer Entwicklung nennen wir sie das  Doppel-C oder Carlo-Corner.
 Man findet das Carlo-Corner in vielen  Ortschaften, bevorzugt auf Dorfplätzen mit heftiger Richtungsänderung  der Durchzugsstraße. Viele dieser Dorfplatz-Kurven glänzen im wahrsten  Sinne des Wortes mit recht glatter Oberfläche. Je langsamer man die Ecke  durchfahren muss, umso besser für die Gestaltung der Festivität.  Jedenfalls sollte die maximal mögliche Geschwindigkeit unter 60km/h  liegen, da man sonst auf unterhaltsame Dinge in der Bremsphase  verzichten muss. Wie gesagt, wir befinden uns im Ortsgebiet. 
 Unser Fahrzeug der Wahl ist der Stadttransporter, also ein Roller oder eine kleine Enduro. Der Untersatz wird mit Allwetter- oder sehr guten Enduroreifen mit  wenig Negativprofil ausgerüstet. Wie Carlo in zum Teil recht  schmerzhaften Erfahrungen herausfand, sind gute Allwetterreifen für  Roller in engen, rutschigen Ecken nicht zu schlagen. Auf einer  Kleinenduro mit guter Bereifung hat man dafür mehr Kontrolle bei  schmierendem Vorderrad. 
 Die Dorfecke der Wahl wir nun eingehend  befahren und analysiert. Oftmals ist der Asphalt über  Kurvenlänge und  -breite von unterschiedlicher Qualität. Zumeist sind die Reifenkorridore  rutschiger als Ränder und Mitte.
 Entsprechend vorbereitet  bestellen wir an der Tankstelle am Ortseingang einen großen Braunen. Und  harren der Dinge, die da kommen. Jetzt endlich arbeitet die Statistik  für uns. Im Ortsgebiet bei 50km/h Höchstgeschwindigkeit muss man nicht  stundenlang auf einen Henker warten. Hier bietet sich jeder  vorbeifahrende Zweiradartist als potentieller Freudenspender an. Spült  es einen Kandidaten vorbei, setzt man die Cafeschale ab und nimmt  unaufgeregt die Verfolgung auf.
 Bei im Ortsgebiet üblichen Fahrgeschwindigkeiten von 65 ? 70km/h  findet man sich mit etwas mehr Dampf alsbald am Hinterrad des Kandidaten  ein. Dort gibt man die Rolle des absoluten Dorftrottels und fährt mit  wilden Schlenkern rechts und links bis knapp auf Höhe des  Vorausfahrenden auf. Die Dorftrottel-Schlenker samt kurzen Einbremsern  dienen sowohl der Motivation als auch dem Aufwärmen der Reifenflanken.  Auch ein Allwetter-Gummi zeigt nach kurzer Anfahrzeit etwas bessere  Haftwerte. Um die Motivation des Vorausfahrenden nicht zu gefährden,  darf der Dorftrottel keinesfalls aussehen wie das Anwärmen der Reifen  vor einem GP-Start. Mit etwas Glück findet man einen Motorradfahrer mit  Roller-Allergie. Dieser Typus ist im Nahbereich von Großstädten recht  häufig vertreten und verspricht die beste Unterhaltung.           
           
 Ganz abseits vom Thema erstaunt mich die hektische Betriebsamkeit,  die so mancher Motorradfahrer bei Sichtung eines Rollers an den Tag  legt. Scheinbar haben Gerüchte und Fachzeitungen die Illusion eines  Superhelden des Stadtverkehrs erschaffen, der schwerelos über Autodächer  und Verkehrsinseln schweben kann. Ich finde, dass es langsam Zeit wird,  frechen Golatschenjongleuren auch im dichtesten Verkehrsgewühl die  Ohren langzuziehen und habe deswegen in den vergangenen Wochen mehrmals  mit Bestimmtheit durchgegriffen. 
           
 Aber zurück zum Thema. Wir streben also hinter und seitlich des  vorausfahrenden Motorrades dem Carlo-Corner zu und begeben uns, sobald  der Kandidat vom Gas geht, innen auf die Höhe seines Vorderrades.  Versuche mit Innenseite, gleiche Höhe erwiesen sich als weniger  unterhaltsam, weil man dem außen Fahrenden dabei zu viel Fahrbahnbreite  und damit die Motivation wegnimmt. Positioniert man sich etwas weiter  vorne, kann er bequem umlegen und etwas zur Mitte versetzt folgen. Man  darf aber auch nicht zu schnell vorbeigleiten, sonst wird der Kandidat  gar nicht versuchen, dranzubleiben. Je nach Beschaffenheit des Asphalts  hält man die griffige Linie, der Hintermann wird sich jetzt, seitlich  versetzt, mit weniger freundlichem Asphalt auseinandersetzen. 
 Hört  man lautes Scheppern oder sieht einen Scheinwerfer jenseits der  Mittellinie, sollte man vor Rückkehr zum Cafe die nächste Kirche  aufsuchen, um seine Sünden zu beichten. Jedenfalls aber darf man bei der  gesetzlich vorgeschriebenen Hilfeleistung den eigenen Helm nicht  abnehmen, da die Gefahr von saftigen Ohrfeigen einfach zu groß ist.  
           
 Und so finden wir mit der hoch mobilen Methode Carlo-Corner zurück  zum Baum des Ursprunges, zur Essenz der Lebensfreude in stressfreier  Umgebung mit minimalem Zeitaufwand.              
  
PS
AN & AUFREGUNGEN WERDEN ANGENOMMEN!